Das Jahr 2019 war hoffnungsvoll zu Ende gegangen. Auf der Mitgliederversammlung Ende November wurde ein neuer Vorstand gewählt. Im Ergebnis ein verjüngtes Team, unter ihnen auch fünf neue Beisitzer-/innen zwischen 20 und 30 Jahren, die den in die Jahre gekommenen Vorstandsmitgliedern wieder Mut machten. Auf der konstituierenden Vorstandssitzung am 21. Januar war dann einiges mehr an Elan zu spüren, wie man Ideen und Projekte im neuen Jahr in die Tat umsetzten wollte.
Die im Jahre 2019 mit großem Erfolg in vielen Städten präsentierte Bartoszewski-Ausstellung war über den Jahreswechsel hinweg noch im Deutschen Polen-Institut gezeigt worden, mittlerweile die 10. Station auf der Tournee durch Deutschland. Mitte Januar ging die Schau auf die Reise nach Sachsen, wo sie im DIZ auf Schloss Hartenfels in Torgau ab dem 17. Januar 2020 gezeigt wurde.
Zu der Ausstellung „Der Freiwillige – Witold Pilecki und die Unterwanderung von Auschwitz“ lud das polnische Pilecki-Institut uns am 17. Januar 2020 zu einer gemeinsamen Führung durch die Ausstellung in den neuen Räumen des Instituts am Pariser Platz in Berlin-Mitte ein.
Zum Jahresanfang ging es auf „Klassenfahrt“ nach Legnica / Liegnitz
Am 25./26. Januar 2020 fand die erste „Klassenfahrt“ im Kulturzug nach Polen statt. Es ging in die niederschlesische Stadt Legnica, wo wir mit den Polen-Ausflüglern aus Berlin das Wochenende verbrachten. Auf dem Programm waren eine Betriebsbesichtigung bei den Niederschlesischen Eisenbahnen, ein Blick hinter die Kulissen des über Legnica hinaus bekannten Helena-Modrzejewska-Theater und ein Besuch des Kupfermuseum. Für Sonntag war dann ein Stadtspaziergang mit polnischen Heimatkundlern durch den für Polen lange Zeit verbotenen Stadtteils („Klein Moskau“) vorgesehen, in dem seit 1946 russische Truppen mit ihren Familien lebten, die erst 1993 das Land in Richtung Heimat verließen.
In den Wochen vor und nach dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus (27. Januar) hatten Verbände, Vereine, Stiftungen und öffentlichen Einrichtungen in Berlin mit einer Reihe von Veranstaltungen aus Anlass der Befreiung des Konzentrationslager Auschwitz vor 75 Jahren gedacht.
Der Corona-Virus wurde im öffentlichen Leben von vielen noch nicht so wahrgenommen und man war geneigt, dem nicht die gefährliche Bedeutung beizumessen. Man begann deshalb mit der Planung von Projekten und Aktivitäten, die man sich für das laufenden Jahr vorgenommen hatte.
Bald kündigten sich jedoch erste Vorboten der Pandemie an, die zu Verboten im Kulturbetrieb führten. Zum vorläufigen letzten Mal lief im BALI-Filmtheater am 10. Februar 2020 ein polnischer Spielfilm: „Planeta Singli“ (Planet Sigl) im Original mit englischen Untertiteln. Es sollte bis zum Herbst der letzte Film sein, der in der Reihe „Kino der Nachbarn“ in einem der ältesten Lichtspieltheater in Berlin-Zehlendorf gezeigt wurde.
„Maulkorbgesetz“ von der Leine gelassen
Neben dem ansteckenden, noch wenig bekanntem Virus erreichten uns aus Polen beängstigende Nachrichten ganz anderer Art: Seit Mitte Februar 2020 trat ein „Maulkorbgesetz“ in Kraft, das von der PiS mit seiner Mehrheit im Sejm durchgesetzt worden war.
Um die von der Regierung als so genannte „Justizreform“ und den damit einhergehenden Konflikt mit der EU zu verstehen, hatte Dr. Peter von Feldmann, ehemaliger Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Berlin und Mitglied unserer Gesellschaft, diesen Umbau des Rechtsstaates in Polen seit 2015 beobachtet und kommentiert. Für die Mitglieder der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Berlin hat er dazu eine gekürzte Zusammenfassung seiner bisherigen Dokumentation zugänglich gemacht, die als DPG-Newsletter verschickt wurde.
Am 1. März übernahm der Historiker und Publizist Zygmunt Stępiński das Amt des Leiters des Museums der Geschichte Polnischer Juden POLIN in Warschau. Damit ging ein monatelanges Tauziehen um den bisherigen Museumsdirektor Dariusz Stola zu Ende, dessen Kandidatur vom Kulturminister Piotr Glinski vehement abgelehnt wurde.
Bartoszewski-Ausstellung erstmals online zu erleben
Unmittelbar vor dem ersten Corona-Lockdown konnten wir noch die Bartoszewski-Ausstellung am 10. März 2020 im Landratsamt Vorpommern-Greifswald in Pasewalk im Land Mecklenburg-Vorpommern einladen. Der Kreistag Vorpommern-Greifswald, das Bürgermeisteramt der Stadt Pasewalk sowie der DemokratieLaden Anklam und die Bartoszewski-Initiative der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Berlin hatten die Ausstellung in die Grenznähe zu Polen geholt und konnten auch noch nach der Corona-bedingten Schließung die Ausstellung bis kurz vor Ostern erstmalig online zeigen.
Anlässlich des fünften Todestages von Władysław Bartoszewski war am 24. April 2020 ursprünglich ein Symposium und die Eröffnung der Ausstellung „Władysław Bartoszewski 1922–2015 / Widerstand, Erinnerung, Versöhnung mit dem zusätzlichen Thema „Kulturdialog mit Karl Dedecius“ an der Europa-Universität VIADRINA in Frankfurt/Oder geplant gewesen. Aufgrund der aktuellen Situation musste die Veranstaltung und die Ausstellungseröffnung auf den 26. November 2020 verschoben werden.
Die für den 8. April 2020 geplante Eröffnung der Ausstellung „Władysław Bartoszewski 1922–2015” an der Universität Greifswald musste aufgrund der Coronavirus-Epidemie abgesagt werden. Stattdessen konnte sich Interessenten die Ausstellung per Video in einem virtuellen Rundgang online betrachten.
Film-Dokumentation über Bartoszewski-Ausstellung jetzt online verfügbar
Zum 24. April 2020, dem fünften Todestag Władysław Bartoszewskis, konnte die Premiere einer Film-Dokumentation über die Ausstellung des Brückenbauers zwischen Polen und Deutschland fertiggestellt werden. Der Kurator der Ausstellung, Dr. Marcin Barcz, hat die vier Kurzfilme konzipiert und in Szene gesetzt, um der Öffentlichkeit online den Zugang zu der Ausstellung zu ermöglichen, so dass die gesamte Ausstellung auch in den Zeiten der Pandemie auf sichere und bequeme Weise jederzeit und von überall zugänglich blieb. (Als Vorbereitung auf den virtuellen Rundgang ist die Lektüre der kurzen Ausstellungsbeschreibung auf unserer Homepage zu empfehlen).
Im Mai wurde in Polen der zweite Teil des Films der Gebrüder Siekielski „Zabawa w chowanego“ („Versteckspiel“) dem Publikum vorgestellt. Er sorgte in Polen für eine breite öffentliche Auseinandersetzung mit der Pädophilie innerhalb der katholischen Kirche.
Marsz, marsz Trzaskowski!
Im Monat Juni 2020 richteten sich die Blicke mit Sorge aber auch mit einer gewissen Zuversicht nach Polen, denn die zweite Runde der Präsidentenwahl hatte begonnen. Dabei bewunderten wir aus der Ferne die unglaubliche Aufholjagd des liberalen Kandidaten Rafał Trzaskowski, wie er sich dem bisherigen Amtsinhaber Duda bis auf ein paar Prozentpunkte gefährlich näherte. Nur durch Fake-Kampagnen der PiS und die Unterstützung durch die Kirche hatte die Partei es schließlich geschafft, noch einen knappen Sieg für den bisherigen Präsidenten zu sichern.
Kulturzug vorübergehend auf dem Abstellgleis
Auch der Kulturzug musste wegen der Ausbreitung des Corona-Virus seinen Betrieb auf der Schiene vorübergehend einstellen. Dennoch wurde seine Funktion als grenzüberwindendes Medium aufrechterhalten und man lud an drei aufeinanderfolgenden Wochenenden im Mai und Juni zu digitalen Reisen entlang der Oder ein. Nach den virtuellen Fahrten fuhr man ab 26. Juni wieder normal und konnte bis Oktober das Niveau des Vorjahres erreichen.
Resolution für Offenhalten der Grenzen
Die Deutsch-Polnische Gesellschaft Bundesverband sowie wir als Landesverband setzten sich Mitte Juni in einer Resolution für ein weiteres Offenhalten der Grenzen ein, die aufgrund der Covid-19-Pandemie temporär vielerorts geschlossen wurden. Die gemeinsamen, friedlichen Proteste an den Grenzübergängen fanden Unterstützung und waren ein deutliches Zeichen dafür, wie eng beide Zivilgesellschaften seit Polens EU-Beitritt zusammengewachsen sind.
Die 13. Władysław Bartoszewski-Ausstellung wurde vom 18.6. bis 8.7.2020 im Literaturhaus Halle bereits unter besonderen Pandemie-Einschränkungen eröffnet, so dass der Personenkreis bei der Vernissage übersichtlich blieb.
Peinlich oder Absicht?
Neuer deutscher Botschafter wartete auf seine Akkreditierung drei Monate
Bereits im Mai hatte das deutsche Außenamt beim polnischen Außenministerium die Akkreditierung des Botschafters Arndt Freytag von Loringhoven beantragt. Doch die PiS-Regierung weigerte sich mehrere Monate das Agreement zu erteilen. Erst Ende August hatte sie dem Amtsantritt des Botschafters zugestimmt.
Ein ähnliches Spielchen hatte man bereits in der ersten Kaczyński-Ära (2005–2007) inszeniert – jedoch mit eigenem Personal. Mit der Ernennung des Botschafters für die Bundesrepublik Deutschland, Dr. Marek Prawda, ließ man sich im Jahre 2006 mehrere Monate Zeit, ehe man das Beglaubigungsschreiben dem designierten Botschafter aushändigte, weil man auch nach längerer Suche in den eigenen Reihen keinen dazu befähigten Kandidaten gefunden hatte.
Ehrengäste bei der ersten Einweihung eines Bartoszewski-Denkmals in Polen
Anfang Juli reisten Anita Baranowski-Koch, Gründerin der Bartoszewski-Initiative und der DPG-Vorsitzende Christian Schröter auf Einladung des Stadtpräsidenten von Sopot Jacek Karnowski zur Einweihung eines Bartoszewski-Denkmals in die Stadt an der polnischen Ostsee.
Der Platz vor dem Sopoter Bahnhof mit dem Denkmal seines Ehrenbürgers war an diesem Tag für die Opposition des Landes mitten im Wahlkampf die Gelegenheit, auf diese Weise sich an einem Ort in Polen demonstrativ zu versammeln. Viele polnische Persönlichkeiten und Prominente mit Rang und Namen waren bei der Einweihung und anschließenden Enthüllung des Denkmals dabei.
Zu ihnen gehörten Politiker wie die ehemaligen polnischen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski und Bronisław Komorowski, der frühere Ministerpräsident Polens und Ex-EU-Ratspräsident Donald Tusk und der ehemalige polnische Außenminister Radosław Sikorski. Selbstverständlich waren auch die beiden Stadtpräsidenten von Sopot und Gdańsk, Jacek Karnowski und Aleksandra Dulkiewicz anwesend. Sogar Senatsmarschall Tomasz Grodzki und der stellvertretende Senatsmarschall Bogdan Borusewicz waren zu diesem Anlass nach Sopot gekommen. Małgorzata Kidawa-Błońska ließ es sich als stellvertretende Sejmmarschallin nicht nehmen, bei dieser Ehrung für Bartoszewski auch dabei zu sein. Aus Warschau war außerdem der Beauftragte für Bürgerrechte Adam Bodnar angereist. Zu den weiteren Ehrengästen zählten der Historiker Władysław Teofil Bartoszewski, Sohn von Władysław Bartoszewski, und von deutscher Seite Cornelia Pieper, die deutsche Generalkonsulin in Danzig.
Es war allgemein eine unbewusste Aufbruchstimmung an diesen Tag im Lande zu spüren. Es mag vielleicht dem Umstand geschuldet sein, dass der PO-Kandidat Rafał Trzaskowski zur gleichen Zeit in einer atemberaubenden Aufholjagd um das Präsidentenamt seinem Kontrahenten Duda dicht auf den Fersen war und man mitfieberte.
Fortsetzung folgt!