Nach einer jahrelangen gesellschaftlichen Debatte hat der Deutsche Bundestag am 30. Oktober 2020 einen Beschluss gefasst, einen Ort der Erinnerung und Begegnung zu schaffen, der dem Charakter der deutsch-polnischen Geschichte gerecht wird und zur Vertiefung der bilateralen Beziehungen beiträgt. Damit kam der Bundestag einer Anregung des damaligen Staatsministers und Deutschland-Beauftragten der polnischen Regierung, Władysław Bartoszewski, nach, der sich schon 2013 für einen Gedenkort für die polnischen Opfer ausgesprochen hatte.
Der Bundestag forderte die Bundesregierung nun auf, „… an prominenter Stelle in Berlin einen Ort zu schaffen, der im Kontext des besonderen deutsch-polnischen Verhältnisses den polnischen Opfern des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Besatzung Polens gewidmet ist und ein Ort der Begegnung und Auseinandersetzung mit der Geschichte ist. Er soll Deutsche und Polen zusammenbringen und damit zur Vertiefung unserer Beziehungen, zur Verständigung und Freundschaft sowie zum Abbau von Vorurteilen beitragen …“
Mit diesem Beschluss geht der Bundestag über die ursprüngliche Forderung nach einem Denkmal weit hinaus und fordert einen Ort, an dem auch Informationen vermittelt und Begegnungen ermöglicht werden und das mit dem Ziel, zur Verständigung beizutragen. Ähnlich hatten es auch die im Bundesverband zusammengeschlossenen Deutsch-Polnischen Gesellschaften, die einige Tausend in deutsch-polnischen Dingen aktiven Menschen vertreten, im November 2019 bereits gefordert. Wer nun versucht, sich die Realisierung dieses Beschlusses konkret vorzustellen, kommt schnell zu dem Eindruck, dass dieser Ort des Gedenkens einen richtigen Platz in der Stadt sucht.
Nun wäre es sicher recht aussagekräftig, den Gedenkort als Kontrapunkt zum Vertreibungsprojekt am Askanischen Platz zu setzen, doch auf der Mittelinsel ist gerade mal Platz für einen Gedenkstein und hinter der vis-à-vis gelegenen Fassade des Anhalter Bahnhofes soll das Exilmuseum entstehen. Hier scheint es also nicht aussichtsreich, einen Gedenkort für die polnischen Opfer aufzubauen.
Bei weiterer Umschau bietet sich das Gelände des Geschichtsparks auf dem Gelände des ehemaligen Zellengefängnis in Berlin-Moabit unmittelbar am Berliner Hauptbahnhof an. Vom Königreich Preußen von 1842 bis 49 als eines der modernsten Gefängnisse erbaut (statt Gemeinschaftszellen gab es 540 Einzelzellen nach dem Konzept „Läuterung durch Isolation“), war dessen Kirche im Jahr 1847 infolge des Aufstandes in der Provinz Posen Schauplatz des „Polenprozesses“ (in Polen heißt er „Berliner Prozess“), der öffentlich gegen 254 polnische Bürger wegen Hochverrats (was hier die Wiederherstellung Polens in den Grenzen vor den Teilungen meinte). Im März 1848 wurden die verurteilten Aufständischen auf Druck der demonstrierenden Bevölkerung begnadigt und freigelassen. Gemeinsam mit begeisterten Berlinern zogen die polnischen Aufständischen, darunter Ludwik Mierosławski (ein Revolutionär, der 1849 die badische Revolutionsarmee befehligte) und Karol Libelt (ein Wissenschaftler, der sich zeitlebens am polnischen Widerstand beteiligte), in einem Triumphzug vor das Stadtschloss.
Ludwik Mierosławski hielt eine Rede, die auch heute noch bemerkenswert ist, weil sie der Intention des Bundestagsbeschlusses entspricht: „Nicht du, edles deutsches Volk, hast meinem unglücklichen Vaterlande Fesseln geschmiedet; deine Fürsten haben es getan; sie haben mit der Teilung Polens ewige Schmach auf sich geladen. Und wie es jüngst noch für Euch und uns als Verbrechen galt, nach des Vaterlandes Freiheit zu ringen, und wie sie uns darob, draußen im Kerker, in eiserne Bande schlugen, so warst du es, hochherziges Volk, dessen Blut in diesen Tagen der Befreiung auch für unsere Freiheit floss. Wir danken Euch! Eure Freiheit ist unsere Freiheit, und unsere Freiheit ist die Eure!”
Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. bestätigte notgedrungen die Freilassung und verbeugte sich vor dem Demonstrationszug aus Berliner Bürgern und den befreiten Polen. Dieses Ereignis stand für die damalige „Polenbegeisterung“. Das Zellengefängnis hatte bis 1945 eine Geschichte bis hin zur Inhaftierung von Beteiligten und Verdächtigten nach dem Attentat vom 20. Juli 1944. Nach 1945 nutzten die Alliierten die Haftanstalt. Ende der 1950er Jahre abgerissen, blieben lediglich Teile der Gefängnismauer und drei Beamtenwohnhäuser erhalten. Danach diente das Gelände als Parkplatz für das nahegelegene Poststadion. Heute wird das Umfeld des Geschichtsparks mit Wohngebieten, Gewerbe und dem im Ausbau befindlichen Europaplatz zu einem zentralen Stadtviertel entwickelt.
Der Geschichtspark wäre an prominenter Stelle in Berlin gelegen ideal für den geplanten Gedenkort und Ort der Begegnung und Auseinandersetzung mit der Geschichte der Nachbarn Deutschland und Polen, wie es der Beschluss des Bundestages fordert. Das Gelände – gut erreichbar für Besucher aus Berlin, Deutschland und Polen – ist frei von jeglicher Bebauung und würde genug Platz für den Erinnerungsort bieten. Dieser sollte künftig auch ein Netzwerk von Orten sichtbar werden lassen, die mit der deutsch-polnischen Nachbarschaftsgeschichte verbunden sind. Dazu zählen das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma, das interpretationsbedürftige „Denkmal des polnischen Soldaten und des deutschen Antifaschisten“ im Bezirk Friedrichshain, der Britische Soldatenfriedhof an der Heerstraße, auf dem auch polnische Piloten begraben sind, die Gedenkstätte Plötzensee und das Denkmal für die Soldaten der 1. Polnischen Armee, Division „Tadeusz Kościuszko“ in Hohen Neuendorf, wie auch die Gedenkstätte Sachsenhausen und die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück.
Die Frage des Gedenkens und Erinnerns ist in den deutsch-polnischen Beziehungen von besonderer Bedeutung, stellte der Bundestag fest. Im Geschichtspark wären die Bedingungen gegeben, einen „sichtbaren und zugänglichen Ort zu schaffen, der auch Platz der Begegnung von Deutschen und Polen sein sollte, der zur Vertiefung unserer Beziehungen und Freundschaft beiträgt,“ wie der Bundestag forderte.
Wir wollen der Opfer gedenken, keine Frage. Doch wir wollen auch die Geschichte einer Nachbarschaft in Erinnerung rufen, vor der die Sätze von Władysław Bartoszewski im Jahre 2013 erst verständlich werden: „Ich glaube, die polnisch-deutschen Beziehungen gehören zur Welt der Wunder, positive Wunder der Europäisierung der Menschen nach 1990. Die deutsch-polnischen Beziehungen haben so große Fortschritte gemacht wie keine anderen in Europa. Wir kennen keine zwei Länder, die so weit aus der weiten Entfernung bei Überwindung der Kluft, der bestehenden psychologischen Kluft … so weit aufeinander zu-gegangen sind.”
Christian Schröter
Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Berlin
Dr. Wolfram Meyer zu Uptrup
Stellv. Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Berlin