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Deutsch-Polnische Gesellschaft Berlin

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Die Deutsch-Polnische Gesellschaft Berlin e. V. zum Solidarność-Jubiläum und Gedenken an den Kriegsausbruch in Gdańsk/Danzig

Ein Reisebericht

Reisegruppe der DPG Berlin vor dem Logo Europäisches Zentrum der Solidarność

Oft ist das Zusammentreffen von verschiedenen Jahrestagen an einem Datum nichts weiter als kalendarischer Zufall. Manchmal jedoch scheint Cronos damit eine bestimmte Agenda zu verfolgen: während in diesem Jahr zum 31. August das 45. Jubiläum des erfolgreichen Streikendes und der Gründung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność gefeiert wurde, stand am nächsten Tag, dem 1. September, der mit dem Überfall auf Polen begonnene 2. Weltkrieg auf der Agenda. Steht das erste Ereignis für den Sieg der Freiheit in Polen und infolgedessen später ganz Ostmitteleuropa, zeugt der zweite Termin vom verbrecherischen Versuch, ganz Europa die Freiheit zu nehmen. Dass beides jahrhundertelang von Deutschland-Preußen einerseits und Polen andererseits reklamierten Ostseestadt Danzig/Gdańsk stattfand, legt neben Cronos auch das Walten eines Genius Loci nahe.

Um diese besondere Konstellation der beiden Jahrestage vor Ort mit begehen zu können, reiste eine Gruppe der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Berlin e. V. unter Leitung ihrer Vorsitzenden Anita Baranowska-Koch und Michael Karnetzki für 5 Tage in die alte Hansestadt. Das vom Posener Reisebüro Kampio organisierte und von der Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit mitfinanzierte Programm führte die 28-köpfige Reisegruppe zu einem Orgelkonzert im Dom zu Oliwa, einem Ostsee-Abstecher auf einem Piraten-Schiff sowie zu Stadtführungen in Sopot und Gdańsk. Unsere mit unglaublich detailreicher Sachkunde ausgestattete Stadtführerin Ewa Jaroszyńska zeigte uns auch nach ihrem Armbruch mit bewundernswerter Aufopferung die zahlreichen Ereignisse, die in der Ausstellung im Europäischen Zentrum der Solidarność (ECS) den Kampf um die Freiheit in Polen vor, während und nach dem 31. August 1980 ausgestellt sind. Besonders bewegend war die Begegnung mit zwei Legenden aus Solidarność-Zeiten: dem damaligen stellvertretenden Streik-Vorsitzenden Bogdan Lis und mit Senatsmarschall Bogdan Borusewicz.

Wie die Gruppe an diesem Tag hautnah anhand der Absperrungen anlässlich des Besuchs von Polens neuem Präsidenten Nawrocki an einer Parallel-Gedenkveranstaltung zum 31. August erleben durfte, ist unser Nachbarland tief gespalten im Erinnern an die – und an sich daraus ergebende Schlussfolgerungen aus der – Geschichte von Solidarność. Basil Kerski, noch bis Ende 2025 Leiter des ECS und DIALOG-Chefredakteur, legte in seinem ausführlichen Treffen mit der Berliner Besuchsgruppe dar, wie sein Institut den Solidaritäts-Gedanken in die Zusammenarbeit mit Vertretern der Opposition aus Belarus sowie in die Unterstützung der Ukraine im Kampf um ihre – und unsere – Freiheit vor dem neuen Machtanspruch Russlands einbringt. So würdigte das ECS allein im August folgende Ereignisse: am 09. den Jahrestag der gefälschten Wahlen in Belarus; vom 14. bis 31. das Gedenken an den Streik in Gdańsk; am 24. den Tag der Unabhängigkeit der Ukraine. Erinnerungskultur bedeutet für Kerski immer auch, welche Auffassung man von der Zukunft hat. Für ihn und das ECS sind die universellen Menschenrechte die Grundlage für jegliches Handeln, nicht das Verfolgen spezieller Interessen. Diese auch im Statut des ECS niedergelegten Werte stehen immer wieder im Spannungsverhältnis zur Macht. Kerski vermisst diesen universellen Anspruch auch außerhalb Polens, wenn er dortige Geschichtsmuseen zuerst einer nationalen Blickrichtung verpflichtet sieht.

Konfrontiert mit der Frage, welche Bedeutung von dem ehemaligen Werftgelände heute ausgeht, verweist Kerski auf die hoch spezialisierte Reparatur-Werft mit 8000 Beschäftigten sowie auf das neue Einsatzgebiet der Herstellung von Windkraftanlagen für die Ostsee. Anstelle der ursprünglich geplanten ausschließlichen Büronutzung leisten so die Nachfolger der einstigen Lenin-Werft einen wichtigen Beitrag in Sachen nachhaltige Energie-Sicherheit für die Zukunft. Dies sei eine wesentlich bessere Ausrichtung als die ursprüngliche: so leistete Danzig als erste Werft in Deutschland im 19. Jahrhundert mit dem Bau der Hochseeflotte unter Kaiser Wilhelm II. einen entscheidenden Beitrag zur Aufrüstung vor dem 1. Weltkrieg. Konsequenterweise teilte der Versailler Vertrag das Gelände in einen deutschen, polnischen, französischen und britischen Teil auf. Diese Historie über die Werft, auf der bereits 1911 ein 20wöchiger Streik stattfand, ist Gegenstand einer aktuellen Ausstellung im ECS, die unsere Gruppe leider aus Zeitgründen nicht besuchen konnte.

Dafür wurden wir Zeugen der zum 45. Jahrestag am 31.08. um 12 Uhr inszenierten Öffnung der Werft-Tore, die an das erfolgreiche Streikende von 1980 erinnert. Abends verfolgten wir die Ausführungen auf zwei Podiumsdiskussionen im ECS in denen u.a. Danuta Wałęsa (Ehefrau von Lech Wałęsa) über die Rolle der Frauen während des Streiks berichtete und dass es damals keine Zeit für Angst gegeben hätte. Sie sei noch heute dankbar für die Solidarität unter Menschen aus ganz Polen, die sie erfahren habe – es war die schönste Zeit ihres Lebens. Dominika Lasota, eingeladene Klima-Aktivistin, forderte genau dieses Zusammengehörigkeitsgefühl auch und gerade über die Generationen hinweg ein, wenn es darum geht, gemeinsam die Zukunft zu gestalten. Dafür sei mehr gegenseitiges Verständnis notwendig, so Lasota. Im Anschluss diskutierten Paweł Łatuszka und Ola Hnatiuk über die Einflüsse der Solidarność-Bewegung auf Ereignisse in ihren Heimatländern Belarus und Ukraine.

Im Morgengrauen des 01. September besuchte die Gruppe um 4:45 Uhr die offizielle Gedenkveranstaltung zum Ausbruch des 2. Weltkrieges auf der Westerplatte. Eine leicht gespenstige und militärisch geprägte Atmosphäre inmitten eines polnischen Fahnenmeeres gipfelte in der hoch emotionalen Ansprache des polnischen Präsidenten Nawrocki, der diese Gelegenheit nutzte, die alte PIS-Forderung nach deutschen Reparationszahlungen für das Unrecht des deutschen Überfalls auf Polen aufzugreifen. Anstelle einer Würdigung der bis heute erreichten Aussöhnung, der bestehenden Zusammenarbeit auch in Verteidigungsbelangen und einer Zukunft in Europa endigte Nawrocki seinen ersten international beachteten Auftritt mit einem eher unversöhnlichen Aufruf gegen die Feinde von damals.

Ganz anders dagegen traten der Parlamentspräsident im polnischen Sejm Szymon Hołownia und Ministerpräsident Donald Tusk auf, die ein Vernunft-basiertes Handeln und eine glaubwürdige Abschreckung im Verbund mit befreundeten Staaten als Antwort auf die russische Bedrohung in den Vordergrund rückten. Der Eindruck von zwei gegenüberstehenden Lagern der polnischen Politik, die uneins bei der Bewertung historischer Ereignisse sind (hier: emotional-ideologisch, dort: rational) drängte sich in ernüchternder Weise unseren Besuchern auf. Besonderem Dank gilt nochmals Ewa Jaroszyńska, die wenige Stunden nach der Gedenkveranstaltung der Reisegruppe den Ablauf des Geschehens 1939 auf der Westerplatte vor Ort veranschaulichte. Zuvor hatten wir bereits bei einer persönlich geprägten Führung durch das Museum des 2. Weltkriegs in Danzig die wichtigsten Eckdaten der 86 Jahre zurückliegenden Zeit ins Gedächtnis gerufen.

Das zweite Gedenken an diesem 1. September galt den heldenhaften Verteidigern der Polnischen Post in der damaligen Nazihochburg Danzig. Dass an diesem Tag in Polen zugleich der erste Schultag nach den Ferien ist, unterstrich die Anwesenheit von Schülern aus dem Fernmeldewesen und jungen Matrosen. Alle Redner betonten die Verpflichtung zur Weitergabe der Werte Mut, Ehre und Volksliebe sowie die Kenntnis der eigenen Geschichte an die junge Generation. Ein Armeekommandant zitiert den Liedtext von Czesław Niemand von der seltsamen Welt, in der es so viel Böses gibt, in der sich Menschen gegenseitig verachten, sogar umbringen, in der manchmal schon Worte töten wie ein Messer – diesen Hass gelte es zu überwinden. Neben den zahlreichen politischen und zivilgesellschaftlichen Beteiligten fällt der 96jährige Jerzy Grzywacz auf mit seiner Rede über Kindheitserlebnisse in Bezug auf die Unterdrückung der polnischen Sprache und seiner daraus resultierenden Animosität gegenüber der deutschen. Mit seinen 105 Lebensjahren beteiligt sich zum Veranstaltungsende Marian Drozdz aus dem Verein der Kriegsveteranen durch eine Kranzniederlegung. Auch die Deutsch-Polnische Gesellschaft Berlin legt im Gedenken an die Verstorbenen an diesem historischen Ort einen Kranz nieder.

Ein aktuell in ganz Polen kontrovers diskutiertes Kapitel aus der Kriegszeit stellt eine Ausstellung im rechtsstädtischen Rathaus von Danzig vor: „Nasi chłopcy“ - „unsere Jungs“ - thematisiert die Zwangsrekrutierung zur Wehrmacht von polnischen, aber als Volksdeutsche gelisteten, jungen Männern. Ob deren verordneter Kampfeinsatz auf deutscher Seite als Verrat am polnischen Volk zu werten sei oder das sich hilflose Fügen in die faktische Besetzungsmacht bildet den hitzigen Meinungsstreit. Verdrängte Geschichte öffentlich aufzugreifen hat sich das Museum Gdańska nicht nur mit dieser bis Mai 2026 laufenden Ausstellung, deren Besuch für die Teilnehmer sehr Erkenntnis erweiternd war, verschrieben.

Zum Abschluss dieser stark auf die Vergangenheit ausgerichteten Themenfahrt in die pulsierende, historisch-moderne und immer weltoffene Großstadt Gdansk knüpft die DPG Berlin im „Haus der Begegnung und Versöhnung Maximilian Kolbe“ des Franziskaner Orden zukunftsweisende Kontakte zur Polnisch-Deutschen Gesellschaft Gdańsk, die bereits seit 34 Jahren besteht. Wir erfuhren von den zahlreichen Aktivitäten, die über ganz Polen verteilt sind und im großen Maße Schüler einbeziehen – jüngst auch 86 Musikschüler mit eingeschränkten Fähigkeiten. Erste Ideen für zukünftige gemeinsame Projekte wurden bereits entwickelt. Somit endete die intensive Reise mit einem positiven Ausblick auf die Zukunft für gemeinsame deutsch-polnische Aktivitäten. Nach dem Motto unseres Reise-Patron Władysław Bartoszewski, dessen Denkmal-Besuch vor dem Bahnhof von Sopot nicht nur Herzenswunsch unserer Reiseleiterin Anita Baranowska-Koch war: „Wir tun, was wir können, und was wir nicht können – auch“. Detlev Lutz

Bild Reisegruppe DPG Berlin mit Basil Kerski, Leiter ECS, 1. Reihe rechts Bild DPG Berlin am Bartoszewski-Denkmal in Sopot Bild 01.09.25 Vorstand DPG Berlin (v.l.n.r. Hans-Joachim Hacker, Anita Baranowska-Koch, Michael Karnetzki) Bild Reisegruppe DPG Berlin auf der Mottlau-Brücke im Hintergrund das Krantor

11.09.2025

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