Henry van de Velde in Polen/w Polsce – Die Innenarchitektur im Sanatorium Trebschen/Trebiechów
von Antje Neumann und Brigitte Reuter (Hg.)
Ein wichtiges Buch zur Kunst im beginnenden 20sten Jahrhundert ist erschienen in der Potsdamer Bibliothek östliches Europa: Antje Neumann und Brigitte Reuter (Hg.): Henry van de Velde in Polen/w Polsce – Die Innenarchitektur im Sanatorium Trebschen/Trebiechów, zweisprachig deutsch/polnisch.
Eine große Überraschung war es schon, als im Oktober 2003 zu einer Pressekonferenz in die kleine polnische Ortschaft Trzebiechów im Landkreis Zielona Góra geladen wurde. Es hatte sich herausgestellt, dass vor genau 100 Jahren hier der Künstler Henry van de Velde ein später der Vergessenheit anheim gefallenes innenarchitektonisches Kunstwerk geschaffen hatte. In einem großzügigen Sanatorien- Komplex hatte in den Jahren 1903/04 der Belgier die gesamte Innenausstattung des Arzthauses und des Patientengebäudes – also Türen, Portale, die Treppenanlagen und Dielen, Möbel und Einbauten, die Metallarbeiten und Beleuchtungskörper – entworfen und von renommierten Weimarer Firmen herstellen und einbauen lassen.
Wieder entdeckt hatte die Arbeiten Erwin Bockhorn-von der Bank während mehrerer Reisen zu der Wirkungsstätte seines Großvaters, eben jenem Sanatorium, ins früher brandenburgische Trebschen, jetzt Trzebiechów. Und er entschlüsselte auch, auf welchem Wege van de Velde zu einem Auftrag in einem ziemlich abgelegenen Ort östlich der Oder gekommen war. Die familiären Verbindungen der Auftraggeberin zum in Weimar residierenden Fürsten Reuß können dies belegen.
Denn Henry van de Velde war 1902 vom Fürsten zum Gründer der Großherzoglich Sächsischen Kunstgewerbeschule Weimar berufen worden, wo man sich bemühte formschönes Kunsthandwerk zu lehren. Eigentlich war der Belgier einer der Großmeister des Jugendstil, der art nouveau, ein vielseitig talentierter Maler, Architekt, Designer, Werbegraphiker, Lehrer und einflussreicher Kunsttheoretiker. Berühmt wurden seine Entwürfe für Möbel, Ausstattungen, Beleuchtungskörper, Teppiche, Stoffe, Keramikarbeiten und Porzellane. Für die Zeitgenossen waren seine Arbeiten so überzeugend, dass er die Aufträge für zahlreiche Gebäude und Innenausstattungen realisieren konnte – im ganzen nördlichen Europa, von Brüssel über Holland, Hagen, Weimar, Chemnitz, Gera bis nach – wie wir jetzt wissen – Trzebiechów in Polen.
Aber erst nach der politischen Wende 1990 wurde das Interesse an Henry van de Velde in Weimar neu belebt und das Forschungsprojekt „Werkverzeichnis van de Velde“ ins Leben gerufen. Die Arbeiten des Künstlers östlich der Oder blieben zunächst im Nebel des Vergessens.
Und jetzt geschah die zweite Überraschung: Als klar wird welches Juwel sich in Trzebiechów befindet, engagieren sich intensiv der sicher nicht überaus reiche Landkreis Zielona Góra, die Gemeinde Trzebiechów und der Landeskonservator der Woiwodschaft Lubuskie ideell und finanziell bei der Restaurierung dieses Kunstwerks in bewundernswürdiger Weise.
„Die Forscher wiederum stehen ebenso vor einer wichtigen Aufgabe: Die Innenräume des Sanatoriums in Trebschen müssen nicht nur der Fachwelt, sondern auch einem breiten Publikum bekannt gemacht werden. Das Sanatorium in Trebschen mit seinen prächtigen von van de Velde entworfenen Treppenhäusern zählt gewiss zu den wertvollsten Objekten moderner Kunst von europäischem Rang, die sich im heutigen Polen befinden. Es ist gut, dass sich darüber nicht nur die Spezialisten einig sind, sondern auch die Hausherren und Eigentümer: die Direktion des Sanatoriums und die lokalen und regionalen Verwaltungen.“1
Am 28. September 2007 folgte die dritte Überraschung: Die ehemalige Reithalle in Trzebiechów wurde zum Schauplatz einer vom Deutschen Kulturforum östliches Europa maßgeblich mitorganisierten internationalen Konferenz. In Anwesenheit des Belgischen Botschafters in Warschau und vor über 250 geladenen Gästen wurden im Rahmen dieser Konferenz nicht nur die Arbeiten van de Veldes in Trzebiechów in einem wunderschönen Kunst-Buch vorgestellt. Es wurden auch verschiedene Aspekte der Schöpfungen van de Veldes beleuchtet und Probleme der Restaurierung seiner Werke erörtert.
Das, was die polnische Wissenschaftlerin Malgorzata Omilanowska in dem eben zitierten Text fordert, dass nämlich dieses Objekt in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit zurückkehren müsse, das leistet vorzüglich das von Antje Neumann und Brigitte Reuter vom Forschungsprojekt „Werkverzeichnis Henry van de Velde“/ Klassikstiftung Weimar herausgegebene zweisprachige Werk: HENRY VAN DE VELDE IN POLEN/W POLSCE, Die Innenarchitektur im Sanatorium Trebschen/Trzebiechów.
Dieses Buch vereinigt Aufsätze deutscher und polnischer Fachleute, zeigt in zahlreichen Bildern anschaulich die restaurierten und die noch unrestaurierten Räume und führt hin zu der interessanten Entstehungsgeschichte eines für Europa wichtigen Gesamtkunstwerks. Ohne die Hilfe und die Verlags-Arbeit des Deutschen Kulturforums östliches Europa hätte dieser schöne Kunstband sicher nicht erscheinen können. Allen Verantwortlichen bleibt zu danken.
Die Deutsch-Polnische Gesellschaft Berlin ihrerseits plant, auch einen Beitrag zum oben formulierten Auftrag beizusteuern, nämlich der Öffentlichkeit das Sanatorium in Trzebiechów bekannt zu machen. Es ist geplant, im Jahr 2008 eine Exkursion in den Landkreis Zielona Góra anzubieten.
Gernot Ribka, Deutsch-Polnische Gesellschaft Berlin
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Malgorzata Omilanowska: „Architektur des Jugendstils und der frühen Moderne im heutigen Polen“ in: Henry van de Velde in Polen/w Polsce, Potsdam, 2007 ↩︎
26.10.2007