Unterwegs zwischen Gomulka-Grau und dem Neo-Manhattan an der Weichsel: Der Junge Kreis auf alternativer Spurensuche in Warschau (18.-20.5.2007)
Sochaczew fliegt am Fenster vorbei. Noch sind es rund 50 Kilometer bis in die größte Stadt Polens. Noch wirkt die masowische Landschaft ziemlich verträumt und melancholisch. Um nicht zu sagen bäuerlich. Doch so langsam verdichtet sich die Bebauung. Ab Blonie ist das Weichbild von Warschau zu spüren. Es ist kurz vor 13.00 Uhr, als wir, eine 13 köpfige Gruppe des Jungen Kreises der DPG Berlin, Warschauer Stadtgebiet erreichen. Warszawa-Ursus steht auf den Tafeln der Bahnstation. Doch Ursus ist nicht nur ein Stadtteil. Ursus steht für polnische Traktoren und Ursus steht für kämpferische Arbeiter in Zeiten der Jaruzelski-Stagnation. Während ich noch über alte Solidarnosc-Aktionen nachdenke, rollt der Berlin-Warszawa-Express in den unterirdischen Centralna-Bahnhof ein.
Rasch schultern wir unsere „Bagasch“ und streben in Richtung Tageslicht. Sofort fällt mein Blick auf den imposanten Kulturpalast (Palac Kultury y Nauki). Der Zuckerbäckerbau aus den fünfziger Jahren erinnert ein wenig an die Moskauer Lomonossow-Universität. Mit 231 Metern ist er das höchste Gebäude der Stadt. Doch in den letzten Jahren hat Stalins ungeliebtes „Geschenk“ an die Polen starke Konkurrenz bekommen. Rund um das Juwel aus alten Zeiten ist ein wahres Hochhausgebirge aus Hotels und Business-Türmen entstanden. Vor allem der Warsaw Trade Tower, der Rondo 1-Glaskasten und das Interconti-Hotel sind Visitenkarten des neuen Warschau.
Doch es bleibt nur wenig Zeit für eventuelle Vergleiche mit Frankfurt/Main, London oder Paris- La Défense. Ein Reiseteilnehmer hat einen wichtigen Termin bei Legia, dem bekannten Fußballklub, der ganz oben in der polnischen „Ekstraklasa“ mitkickt. Aktuell geht es um eine engere Vernetzung mit Hertha BSC Berlin. Synergieentfaltung auf beiden Seiten ist das angestrebte Ziel. Doch ob die alte Dame Hertha davon profitiert und endlich einmal wieder seit 1931 Deutscher Meister wird, steht in den Sternen. Egal.
Wir sind inzwischen in das freitägliche Warschauer Verkehrsgewühl eingetaucht. Im Schritttempo geht es zu unserem Hotel, das den Namen des Stadtteils trägt: Powisle. Der Prospekt verkündet verheißungsvoll: „Das Hotel Powisle** sichert ausgezeichnete Erholung, Gastlichkeit und professionellen Service!“ Doch für Erholung und Gastlichkeit bleibt nur wenig Zeit. Um 14:30 Uhr wartet schon unser erster Programmpunkt: Ein Besuch im Sejm.
Der Sejm ist vergleichbar mit dem Reichstag in Berlin. Die Einlasskontrollen sind aber wesentlich lockerer, als bei den peniblen Deutschen. Ein letzter Rucksack wird erfolgreich durchleuchtet und schon sind wir drin im „allerheiligsten“ Gebäude Polens, sieht man einmal vom Jasna Gora (Heller Berg) in Tschenstochau ab. Ein freundlicher Mitfünziger erklärt uns das Parlament und den polnischen Parlamentarismus. Broschüren und Infoblätter werden gereicht. Eigentlich führt der Mann nur englischsprachige Besuchergruppen, doch uns zu Ehren kratzt er sein letztes Deutsch zusammen. Und das ist gar nicht mal so schlecht.
Der Sejm bildet zusammen mit dem Senat das Parlament. Dabei kann der Sejm mit dem britischen Unterhaus, der Senat mit dem britischen Oberhaus verglichen werden. Der Sejm setzt sich aus 460 ‚Abgeordneten zusammen. 155 Plätze entfallen auf die Kaczynski-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). An zweiter Stelle rangiert die oppositionelle Bürgerplattform (PO) von Donald Tusk. Die konservative PiS bildet zusammen mit der Bauernpartei Samoobrona und der ultrarechten Liga Polnischer Familien (LPR) eine Koalition. Oberster Herr im Sejm ist der Marschall. Sitzungen gibt es im Sejm nur zwei bis drei im Monat. Den Rest der Zeit ist der Sejm Schulklassen oder dem Jungen Kreis der DPG vorbehalten. Die Abgeordneten sind dann in ihren Heimatregionen zwischen Stettin und Przemysl und Zgorzelec und Suwalki auf Achse.
Im Anschluß treffen wir den Schatzmeister der DPG Berlin, Ingo Schuster. Er macht momentan ein Praktikum im Sejm. Bei seinem Kurzreferat verrät er einige Interna der polnischen Innenpolitik. Ein ganz wichtiges Thema ist die Fußball EM 2012, gemeinsam mit der Ukraine. Warschau will unbedingt das Endspiel austragen, doch dazu fehlt ein taugliches Stadion. Weiterhin muss viel Geld in den Autobahnbau und in neue Eisenbahntrassen gesteckt werden. Vielleicht gibt es ja bald eine Art TGV von der Weichsel an den Dnjepr.
Schuster arbeitet für den Abgeordneten Janusz Wójcik. Wójcik ist in Polen kein unbekannter Hinterbänkler, eher ein Held. Bei der Olympiade 1992 in Barcelona führte er die polnische Fußball-Auswahl bis ins Finale. Knapp verlor man damals gegen Spanien. Wójcik und seine Mannen wurden trotzdem wie Sieger gefeiert. Eine Silbermedaille im Fußball ist keine Selbstverständlichkeit. Interessant sind auch Schusters Ausführungen zum Warschauer Alltagsleben. Doch die Aufmerksamkeit schmilzt langsam dahin. Kein Wunder, bereits um 6.36 Uhr ist der Großteil der Gruppe von Berlin gen Warschau aufgebrochen.
Für 17:00 Uhr ist ein Besuch im Zentrum der modernen Kunst angesetzt. Danach gibt es noch Zeit für private Rundgänge. Mich zieht es in die Neue Welt. In der „Nowy Swiat“, wie sie auf polnisch heißt, schmiegen sich schöne alte Häuser aneinander. Der wohl bekannteste Treffpunkt für Cappuccino und Mehlspeisen Freuden ist das traditionsreiche Kaffeehaus Blikle. Seit 1869 kann man hier etwas für seinen Cholesterinspiegel tun. Neu ist eine Bierhalle am Ende der „Nowy Swiat“. Hier umklammern Polen und Touristen schwere Maßkrüge. Welch wegweisende Innovation. Und i hob denkt, a Maß kriegt ma nur bei die Bayern …
Ich verkneife mir ein Nachmittags-Piwo, biege in die Swietokrzyska-Straße ein und erspähe bald wieder den eingangs schon erwähnten Kulturpalast. Er ist nicht nur hoch, sondern auch weitflächig. Alleine die Umrundung erfordert einige Zeit. Der Palast steht für das sozialistische Polen. Die „Goldenen Terrassen“ (Zlote Tarasy) für das moderne Polen. Jedenfalls handelt es sich hierbei um einen futuristischen Einkaufstempel, der durchaus auch in Dubai stehen könnte. Unter einer spektakulären Stahl-Glaskonstruktion, die die „Goldenen Terrassen“ bedeckt, finden sich um die 200 Geschäfte. Darunter die üblichen Verdächtigen wie Deichmann, Adidas, New Yorker, Swarovski, Benetton, Douglas und Marks & Spencer. Ein Multikino darf natürlich auch nicht fehlen. Die „Goldenen Terrassen“ wirken noch ziemlich jungfräulich. Im Februar 2007 war Eröffnung.
Im Schloss Ujazdow vereinigt sich die Gruppe zum gemeinsamen Abendmahl. Da das Essen lange auf sich warten lässt, bleibt keine Zeit für eine Promenade durch den Schlosspark. Doch ein herrlicher Blick hinüber zur anderen Seite der Weichsel, nach Praga, entschädigt voll und ganz. Das Schloss Ujazdow war einst Kaserne, später Militärkrankenhaus. Seit 1981 ist hier das ambitionierte Zentrum für zeitgenössische Kunst angesiedelt. Nach so viel Schloßkultur finden wir an der ul. Marszalkowska den notwendigen Ausgleich. Die Marszalkowska ist das Pendant zur Karl-Marx-Allee in (Ost)Berlin. Stalin lässt grüßen. Der Abend endet mit Zywiec in einem „Polski Pub“.
Am Samstag treffen wir uns relativ zeitig (um 10.00 Uhr) an der Sigismund-Säule, neben dem wiedererrichteten Königsschloss. Ein passender Treffpunkt, fährt doch direkt unterhalb die „Tramwaj“ rüber in den „asiatischen Teil“ von Warschau, nach Praga. Aus Sicht einiger arroganter Warschauer zählt Praga bereits zu Asien. Rasch überquert die Bahn die Weichsel und wir haben plötzlich drei Möglichkeiten den Morgen zu gestalten. Da ist der Zoo (wir könnten ja auf die Suche nach einem möglichen Polen-Knut gehen), da ist die katholische Kirche St. Florian mit ihren roten Türmen, die zum Morgenlob einlädt und da ist ein Szpital, in das wir aber lieber nicht reinwollen. Nach kurzer Wartezeit nimmt uns Gosia Nowicka, eine junge aufgeweckte „Warschowiterin“ in Empfang. Sie will uns das jüdische Praga näher bringen. Die Spurensuche nach dem früheren jüdischen Leben beginnt unweit der ul. Targowa (Marktstraße), die sich durch Praga hindurchschneidet.
Viel ist vom Warschauer Judentum nicht geblieben, bedanket man, dass vor dem Zweiten Weltkrieg circa 40% der Warschauer jüdischen Glaubens waren. Vom Gebäudekomplex der jüdischen Gemeinde Praga blieb lediglich das jüdische Michal Bergson-Erziehungshaus. Eine Gedenktafel mit Warschauer Stadtwappen und polnischem Adler erinnert daran. Auf dem Gelände liegt heute ein Kindergarten mit Spielplatz und das Kindertheater Baj. Ein weiteres jüdisches Gebäude ist das ehemalige „Akademische Haus“ in der ul. Sierakowskiego. Heute befinden sich hier die Verwaltung von Praga Nord und andere Institutionen. Gosia zeigt uns auch die überwachsenen Ruinen einer Synagoge.
Man sagt, die Seele von Warschau lebt in den Hinterhöfen von Praga. Gosia schleust uns auch in einen ausgewählten Hinterhof um uns eine jüdische Mesusa zu zeigen. Was ist eigentlich eine Mesusa? Das Online-Lexikon Wikipedia erklärt dies wie folgt: Die Mesusa (hebr. מזוזה, auch Mezuzah oder Mesusah) bedeutet Türpfosten und bezeichnet eine Schriftkapsel am Türpfosten, welche im Judentum Bedeutung hat und Verwendung findet. Dieses geht auf mehrere Abschnitte in der Tora zurück:
„Du sollst die Worte, die ich dir heute sage, schreiben an die Pfosten deines Hauses und an deine Türe.“ – 5. MOSES 6,9 UND 11,20
Demnach werden die entsprechenden zwei Abschnitte aus dem Schma auf ein Pergament geschrieben, auf der Rückseite das Wort Schadaj (deutsch Allmächtiger), und aufgerollt in einen kleinen Behälter am Türpfosten angebracht. In einem traditionellen jüdischen Haushalt befindet sich an jedem Türrahmen eine Mesusa (außer am Badezimmer bzw. der Toilette). Die Mesusa wird im oberen Drittel des (von außen gesehen) rechten Türpfostens in einem Winkel von 45° geneigt angebracht, und zwar so, dass das obere Ende zum Raum zeigt. Dies entstand aus einer Diskussion unter den jüdischen Gelehrten, ob die Mesusa senkrecht oder waagerecht anzubringen sei; als Kompromisslösung einigte man sich auf die geneigte Stellung.
Die Hinterhöfe von Praga sind auch ein hervorragender Ort für diverse Milieustudien: Kinder spielen im Sandkasten, alte Frauen hängen Wäsche auf, aus den Fenstern schallt verträumte Musik in den Innenhof, dazwischen steht ein Fotomodell, das in allerlei Positionen abgelichtet wird. Heinrich Zille hätte diese Szenerie nicht besser erfinden können. Ausdruck für Polens Frömmigkeit sind die Marienfiguren in jedem Hinterhof.
Genug der Hinterhofromantik. Weiter geht es durch die Brzeska-Straße, die als eine der gefährlichsten Straßen Warschaus gilt. Am helllichten Tage ist davon wenig zu spüren, mal abgesehen von den ziemlich heruntergekommenen Häuserfronten. Ein Reiseteilnehmer flüstert mir ins Ohr: „Mit Verlaub, aber so sieht in Lodz die ganze Stadt aus.“ Die typische Atmosphäre des Viertels ist ganz gut am Rózycki-Basar erlebbar. Der Markt liegt hinter einer Häuserzeile an der ul. Targowa. Angeboten wird fast alles: Sonnenbrillen, Brautkleider, Feuerwerksraketen, Nylonstrümpfe, Bettwäsche, Parfüm, Angelhaken, Taschenmesser, Schnürsenkel, gefälschte Fußballtrikots, Modeschmuck…. Sonnengeplagte junge Damen greifen gerne zu extravaganten Strohhüten. Am Ende ihrer Führung zeigt uns Gosia einen jüdischen Friedhof. Das Gelände wirkt eher wie ein Park, denn wie ein Gräberfeld. Gelegentlich kommen Steine zum Vorschein. Begraben wird hier keiner mehr. Die Anlage erinnert an ein Warschau und an Menschen, die es nicht mehr gibt.
Unser Essen fassen wir in einer typischen polnischen Milchbar. Diese Kantinen des Volkes sind ein Überbleibsel aus der sozialistischen Zeit. Heute erleben sie eine neue Renaissance. Die Bar ist gut besucht: Da ist eine alte Frau, die den früheren Parteichef Wladyslaw Gomulka wahrscheinlich noch persönlich kannte, da sind junge Burschen mit kurzen Haaren, da ist eine Mutti mit Kind und da ist eine lange Schlange an der Ausgabe. Ein Teilnehmer aus unserer Gruppe fühlt sich an „Essen holen gehen in der DDR“ erinnert. Diverse Speisen stehen auf einer Tafel, doch am Ende hat jeder ein Schnitzel mit Kartoffeln auf seinem Teller. Nicht zu vergessen die Graupensuppe vorneweg.
Da sich der Ausflug in die Volkskantine länger hinzieht, gerät unser weiterer Zeitplan etwas aus dem Ruder. Vor dem Museum des polnischen Heeres (Muzeum Wojska Polskiego) wartet schon sehnsüchtig Przemek, ein junger Deutschlehrer aus Warschau. Eigens für uns hat er ein „Stadtspiel“ ausgetüftelt. Aufgeteilt in Kleingruppen müssen wir anhand eines Fragebogens Rätsel aus der Zeit des Sozialismus lösen. Kreuz und quer hasten wir nun durch die Innenstadt, auf der Suche nach neuen Anhaltspunkten. Mal geht es um ein Denkmal, mal gilt es zu erkunden was auf dem ehemaligen Gebäude der PVAP (Kommunistische Partei) für eine Werbetafel angebracht ist, mal landen wir in einem Innenhof und müssen ein altes Firmenschild entdecken….Mich erinnert dies an eine Schnitzeljagd aus frühen Kindheitstagen. Leider hat meine Gruppe am Ende nicht den Preis um die Ehre errungen.
Kurz vor Ende des Stadtspiels geraten wir in den Sog der „Gleichheitsparade“ für die Rechte Homosexueller in Polen. Vor dem Rathaus beobachten wir das Geschehen. Mehrere tausend Aktivisten sind auf den Beinen. Von den sieben oder acht Sattelschleppern dröhnt laute Musik. Geschmückt sind die Wägen mit bunten Luftballons. Vom ersten Wagen grüßt die Grünen Politikerin Claudia Roth freudestrahlend herab. Die grüne Claudia ist wirklich omnipräsent, ganz egal ob auf dem Nockherberg, in Warschau oder bei Sabine Christiansen. Die Gleichheitsparade geht in diesem Jahr friedlich zu Ende. Ein Großaufgebot an Bereitschaftspolizei hält mögliche Gleichheitsgegner auf Distanz.
Kurz treffen wir uns noch zur Stadtspielauswertung am Kulturpalast. Der VfB Stuttgart ist soeben Deutscher Meister geworden. Im Kulturpalast läuft die Warschauer Buchmesse mit dem Schwerpunktland Ukraine. Ein Besuch lohnt aber nur bedingt, zu eng sind die Messestände aneinandermontiert. „Ich war kurz drin und schnell wieder draußen“, flucht einer aus der Gruppe. Kurz drin und schnell wieder draußen war auch der britische Historiker David Irving. Der Vorsitzende des Messeveranstalters Ars Polona, Grzegorz Guzowski, teilte mit, er habe Irving kurzfristig ausgeladen und ihm dies mit Hinweis auf die Rechtslage in Polen persönlich auf der Messe mitgeteilt.
«Zuerst widersetzte er sich und rief, dass Polen kein demokratisches Land sei, aber dann ging er schliesslich», sagte Guzowski. Der Messeveranstalter teilte später mit, dass ein Verlag und ein Autor wegen Förderung von Büchern mit antisemitischen Inhalten von der Messe ausgeschlossen worden seien. Irving war vom Verlag Focal Point eingeladen worden. Er wurde im Februar 2006 in Österreich wegen Holocaust-Leugnung zu drei Jahren Haft verurteilt. Die Zeitung „Dziennik“ macht mit dem Thema groß auf der Eins auf.
Endlich ist Zeit zur freien Verfügung. Mich zieht es in den Norden der Stadt. Mit der Metro komme ich bequem bis nach Marymont. Oben angelangt empfängt mich eine relativ unspannende Struktur. Schnell eile ich weiter zum Plac Wilsona. Unweit davon liegt die Stanislaw Kostka Kirche. Keine gewöhnliche Kirche, sondern die Wirkungsstätte des polnischen Priesters Jerzy Popieluszko, der in diesem Jahr 60 Jahre alt geworden wäre. Wäre. Im Oktober 1984 wurde er vom polnischen Geheimdienst in der Weichsel versenkt. Seitdem wird in Polen ein regelrechter Kult um den Priester getrieben. Gleich neben der Kirche ist er bestattet, Steine aus allen Landesteilen Polens sind um das Grabmal gruppiert. Die Kirche ist voll mit Popieluszko-Bildern. Hinter dem Altar ist sogar ein kleines Museum versteckt: Auch hier Bilder, private Gegenstände und Devotionalien, die an das Leben und Wirken des katholischen Märtyrers erinnern.
Im Übereifer hetze ich noch zu einem französischen Straßenfest in der ul. Francuski in Praga. Als ich dort eintreffe, werden allerdings schon die Buden abgebaut. Die heutige „Lange Nacht der Museen“ schenke ich mir, als ich die überlangen Warteschlangen vor dem Nationalmuseum erblicke. Mit einigen aus der Gruppe arbeite ich die Erlebnisse des heutigen Tages in einem schicken Innenstadtlokal namens „Paparazzi“ auf.
Am Sonntag heißt es Abschied nehmen von Warschau. Ich streife durch eine Neubausiedlung, der immer noch das Grau der Nachkriegszeit anhaftet. Warschau besteht überhaupt aus vielen Plattenbauten. Nach dem Aufstand 1944 sprengten die deutschen Besatzer ein Haus nach dem anderen. Vom alten Warschau blieb nicht mehr viel stehen. Das Museum des Warschauer Aufstands, das von einigen aufgesucht wird, legt über diese dunkle Zeit Zeugnis ab. Gegen 16.30 Uhr verlassen wir die neu erstandene polnische Metropole.
Das Urteil zu den drei Tagen Warschau fällt durchaus positiv aus: „Ich bin viel gelaufen, konnte so die Atmosphäre noch besser einatmen“, „die Führung in Praga fand ich toll“,“die Fahrt war eine Chance, die Leute aus dem Jungen Kreis besser kennen zu lernen, das ist für mich Ansporn, wieder was mit denen zu machen“, „die Diskussionen im Sejm haben mir Einblick darin gegeben, wie Polen funktioniert“, „Warschau nähert sich optisch immer mehr westlichen Städten an“, „Warschau hat eine gewisse Geschwindigkeit, aber gleichzeitig kann man hier entspannen“.
Ein wahrer Schnäppchenjäger unter uns kam auch zu Freuden: „Ich konnte ein elektronisches Wörterbuch D/PL erwerben. Und der Andrzej Wajda Film „Ein Mann aus Eisen“ landete auch in meinem Einkaufsnetz“. Da hat sich die Fahrt doch gleich doppelt gelohnt.
Thilo Wunschel, Warschau im Mai 2007
21.06.2007