Weite Teile des vorliegenden Beitrages sind der Arbeit „Polen und die Russische Föderation – ewige Feinde? Ein Psychogramm der polnischen Außenpolitik seit 2015“ des Autors vom 17.09.2020 entnommen.
Eine Erhebung des Demoskopie-Institutes CBOS (Bericht Nummer 134) ergab, dass die Menschen in Polen sich kaum mit der US-Wahl beschäftigen. Nur 28 Prozent gaben an, sich aktiv für die Präsidentschaftswahlen in den USA zu interessieren. Paradox erscheint dies, da gleichzeitig 73 Prozent davon überzeugt sind, dass der Ausgang der Wahlen eine große Bedeutung für Polen haben wird.
Auch wenn das Interesse sich in der polnischen Öffentlichkeit also merklich in Grenzen hält, so hat die Mehrheit in Polen dennoch einen klaren Favoriten: Donald Trump.
41 Prozent bekundeten, sich ihn als US-Präsidenten zu wünschen, sein Herausforderer Joe Biden kam nur auf 15 Prozent. Besonders beliebt ist er bei den Anhängern der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS), von denen 72 Prozent ihn favorisieren. Deutlich unbeliebter ist er bei Anhängern der Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska), der Linken (Lewica) und der Polnischen Bauernpartei (PSL).
Dass Trump der Favorit der Polen ist, erscheint insofern bemerkenswert, als 2016 nur 6 Prozent der Befragten Menschen in Polen sich für ihn aussprachen. Was ist also in den letzten 4 Jahren passiert, dass Trump einen derartigen Popularitätszuwachs bei unseren polnischen Nachbarn erfuhr? Um dies erklären zu können, ist ein Tag von durchaus wichtiger Bedeutung, nämlich der 15. August.
Denn am 15. August 2020, dem 100. Jahrestag der „Schlacht von Warschau“ (Bitwa Warszawska) unterzeichneten der polnische Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak und der US-amerikanische Außenminister Mike Pompeo einen Vertrag über die Verlegung weiterer US-Truppen nach Polen. Kennern der osteuropäischen Politik kann nicht verborgen bleiben, dass diese Geste gegen Russland gerichtet ist.
An Symbolkraft ist diese Vereinbarung aus polnischer Perspektive enorm, denn am 15. August erinnert Polen immerhin daran, wie die polnische Armee die Rote Armee vor den Toren Warschaus besiegte und damit die Existenz des eigenen Staates nach 123 Jahren, zumindest bis 1939, sicherstellte. Auf die Bedeutung des 15. August habe ich bereits in einem meiner letzten Beiträge hingewiesen.
Im Zusammenhang mit der polnischen Außen- und Sicherheitspolitik gibt es zwei Akteure, die zu konstanten der polnischen Außenpolitik nach 1989 gehören: Die USA und die NATO.
Die USA und die NATO sind für die polnische Außenpolitik nach wie vor der Garant seiner Sicherheit, die deutliche Mehrheit der Polen ist für die NATO-Mitgliedschaft und bewertet das Verhältnis zu den USA mehrheitlich als positiv. Die PiS ist in ihrer Wahrnehmung der USA jedoch nicht nur sehr positiv, das ist wie bereits dargestellt, in Polen weitgehender Konsens, sie ist naiv und ordnet sich vollkommen den USA unter, wie der ehemalige polnische Außenminister (2007–2014) Radosław Sikorski meint. Das polnisch-amerikanische Verhältnis ist von einer starken Asymmetrie geprägt, da die USA für Polen ein unverzichtbarer, Polen für die USA jedoch ein entbehrlicher Partner, was jedoch viele polnische Politiker sich nach 1989 zunächst nicht eingestehen wollten. Die Stärkung der Zusammenarbeit mit den USA ist daher auch ein zentrales Element der Außenpolitik der PiS und deshalb drängt sie auch auf die Vermehrung von US-Truppen in Polen sowie der Schaffung kritischer militärischer Infrastruktur in Polen, insbesondere in Form des Raketenabwehrschirms.
Unter der Trump-Administration hat sich die Anlehnung Polens an die USA, auf die starke sicherheitspolitische U.S.-Fixierung der PiS wurde bereits eingegangen, sogar noch verstärkt. Sein erster offizieller Besuch Europas als U.S.-Präsident führte Donald Trump 2017 auch nach Warschau, wo er in seiner Rede den geschichtlichen Kampf der Polen für Freiheit und insbesondere gegen den Kommunismus würdigte sowie Polen mehrfach als mustergültigen Verbündeten der USA lobte. Abschließend betonte er: „So, together, let us all fight like the Poles – for family, for freedom, for country, and for God“. Seitdem wurde Polen von Trump immer wieder dafür gelobt, seinen Beitrag zum transatlantischen Bündnis zu leisten, woran sich andere NATO-Staaten wie Deutschland ein Beispiel nehmen sollten.
Das führte jüngst zu der Verlautbarung der US-Botschafter in Warschau, dass wenn Deutschland seinen Zahlungsverpflichtungen im Rahmen der NATO nicht nachkommen könne, man die amerikanischen Atombomben auch in Polen lagern könne. Für die PiS wäre das die Erfüllung ihrer sicherheitspolitischen Träume: Polen als Nuklearmacht. Das entspricht auch dem Wahlversprechen der PiS, für relevante militärische Infrastruktur in Polen zu sorgen. 2018 setzte sich der polnische Präsident Andrzej Duda bei seinem Besuch in Washington dafür ein, eine permanente U.S.-Militärbasis in Polen zu schaffen, die er „Fort Trump“ nannte. Auch wenn diese Idee abgelehnt wurde, so sicherte Trump doch zu, darüber nachzudenken, 1 000 zusätzliche Soldaten nach Polen zu schicken, womöglich aus Deutschland.
Die 1 000 zusätzlichen Soldaten kamen schließlich, eine Entscheidung, die von der Mehrheit der Polen begrüßt wird, da damit die Sicherheit Polens erhöht werde. Damit beläuft sich die Anzahl der in Polen stationierten U.S.-amerikanischen Truppen auf derzeit ca. 5 000. Jüngstes Zeugnis der guten polnisch-amerikanischen Beziehungen war, dass Duda im Juni 2020, kurz vor dem ersten Wahlgang polnischen Präsidentschaftswahl am 28.07.2020, Trump im Weißen Haus besuchen durfte, was wie eine faktische Wahlkampfhilfe wirkte, wenngleich sie nicht so ostentativ ausfiel, wie Duda dies offensichtlich gehofft hatte.
Dabei profitiert die PiS von der zunehmenden Entfremdung zwischen Deutschland und der Trump-Administration, sodass als erste Gerüchte über einen möglichen Abzug von 9 500 US-Soldaten aus Deutschland aufkamen, der polnische Premierminister, Mateusz Morawiecki, sich sogleich erhoffte, dass diese nach Polen verlegt werden würden. Mittlerweile ist dieser Truppenabzug offiziell bestätigt worden, tatsächlich soll ein Teil dieser Truppen nach Polen verlegt werden. Am 15. August 2020, dem Tag der polnischen Armee (Święto Wojska Polskiego) unterzeichneten der US-amerikanische Außenminister und der polnische Verteidigungsminister den bereits erwähnten Vertrag über diese Truppenverlegung. Der von der PiS kontrollierte polnische öffentlich-rechtliche Rundfunk TV-Polonia (TVP) – die Kontrolle über TVP war eine der ersten Maßnahmen der PiS nach 2015, seitdem ist es de facto ein Propagandasender der Partei – veröffentlichte bereits im Juli 2020 Artikel, in denen Deutschland allein die Schuld für die Verschlechterung der deutsch-amerikanischen Beziehungen gegeben wurde, denn Deutschland vernachlässige die NATO und arbeite lieber mit der Russischen Föderation zusammen. Bemerkenswert ist dabei, wie versucht wird, den Eindruck einer deutsch-russischen Zusammenarbeit zum Schaden der NATO zu konstruieren.
Aus polnischer Sicht haben die russische Intervention in Georgien 2008, gleich ob von Georgien provoziert oder nicht – Russlandversteher verkürzen den Konflikt gerne nur auf die georgische Offensive vom 7. auf den 8. August 2008, um eine alleinige georgische Verantwortung für die russische Intervention zu suggerieren –, sowie das russische Vorgehen in der Ostukraine seit 2014 gezeigt, dass die russische Bedrohung für Polen immer noch aktuell ist. Die Prämisse hinter dieser forcierten Aufrüstung und der dogmatischen Bindung an die USA und die NATO: Moskau soll es nicht wagen, Polen anzugreifen!
Trump scheint das enorme polnische Sicherheitsbedürfnis der Menschen in Polen zu bedienen und ist deswegen, vereinfacht ausgedrückt, der Favorit der polnischen Rechten.
Jonas Kolecki