Ausstellungseröffnung: Was nehmen wir mit?
Wystawa,
10178 Berlin-Mitte, Polnisches Institut Berlin, Burgstraße 27
Das Polnische Institut Berlin lädt zu der Eröffnung der ersten Ausstellung aus der Reihe „Was nehmen wir mit?“ von Karin Sander und Michał Martychowiec ein. Kuratiert ist diese Ausstellung von Marta Smolińska. Die Ausstellung kann vom 18.10.24 bis 03.01.2025 besucht werden.
Der Ausgang der Parlamentswahlen in Polen am 15.10.2023 schürte in ganz Europa die Hoffnung, dass konservative und rechtsnationalistische Kräfte, die mit populistischer Rhetorik operieren, besiegt werden können. Er war für Polen ein Durchbruch, dessen Bedeutung vielleicht sogar mit dem Jahr 1989 verglichen werden kann – ein Neuanfang, der die Frage aufwirft, wie sein Potenzial am besten genutzt werden kann.
Der Titel der Ausstellung mit Karin Sander und Michał Martychowiec, mit der die Reihe „Was nehmen wir mit?“ in der Galerie des Polnischen Instituts in Berlin eröffnet wird, hat daher die Form einer Frage, die uns alle zum Nachdenken darüber anregen soll, wie wir die Wirkung dieser positiven Energie fortsetzen und die Demokratie weiterentwickeln können. Dieses Nachdenken wird jedoch nicht nur durch den Blick nach vorn, sondern auch durch den Blick zurück angeregt, denn, wie es in einem der Werke von Martychowiec heißt: history=experience.
1990, kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, wurde Sander nach Łódź eingeladen, um an der Ausstellung Construction in Process teilzunehmen. Die Künstlerin nahm damals große Mengen an weißer Farbe mit, die damals in Polen schwer erhältlich waren. Als Ergebnis der ortsspezifischen Aktivitäten mit dem Titel White Passageways wurden Durchgänge durch Häuserblocks komplett renoviert und weiß gestrichen, und die Spuren der Vergangenheit überstrichen, eine Geste zum Wiederaufbau. Harald Welzer schrieb über diese Aktion: „Diese Arbeit nimmt Bezug auf das Transitorische der gesellschaftlichen Situation Polens zu Beginn der neunziger Jahre, auf das Löschen von Geschichte, das die Etablierung neuer Verhältnisse immer mit sich bringt. Die Hausdurchgänge werden so zu Passagen im doppelten Sinne: zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einerseits und andererseits als lichtraumhafte Einschnitte in die graugrauen Fassaden, die wie uneingelöste Versprechen in ebenso graue Hinterhöfe führen. „[1] Sander verteilte darüber hinaus einen Teil der Farbe an Passanten, die sie dann in ihrem persönlichen Umfeld einsetzten, was zum Beispiel an einem der Balkone sichtbar wurde, der sich plötzlich weiß von der grauen Fassade des Wohnblocks abhob und sich die Arbeit auf diese Weise im Stadtraum sichtbar fortsetzte. Diese Eingriffe in den Stadtraum von Łódź macht die politische Transition, in der sich Polen damals befand, für einen Moment sichtbar und zeigt das symbolische Potenzial dieser Aktionen, die den Durchgang als leuchtend weiße Passage inmitten des allgegenwärtigen Neuanfangs visualisierten. Dieses Bild ist immer noch aktuell und die damals weißen, frisch verputzten Passagen sind inzwischen mit neuen Botschaften überschrieben.
Speziell für die Ausstellung in der Galerie des Polnischen Instituts in Berlin fertigte Sander auch einen 3D-Scan eines der berühmtesten Gemälde der polnischen Malerei des 19. Jahrhunderts an, nämlich des Werks „Der Teufelskreis“ von Jacek Malczewski (1895–97; in der Sammlung der Raczyński-Stiftung im Nationalmuseum in Poznań). Aus heutiger Sicht stellt dieses Motiv eines Teufelskreises die Frage, wie man aus ihm ausbrechen kann, um eine positive Veränderung zu erreichen.
Martychowiec hingegen – ein Künstler, der in seiner Kunst programmatisch die Windungen der Geschichte analysiert – lenkt unsere Aufmerksamkeit auf signifikante Momente auf der Zeitachse, die als Wendepunkte betrachtet werden können: 1963 wird mit den Protesten afroamerikanischer Frauen und Männer in New York gegen Polizeibrutalität assoziiert; 1967 war die Zeit der Proteste gegen den Vietnamkrieg und das Aufkommen der Flower-Power-Bewegung; 1982 verweist auf eine Demonstration in Warschau unter dem Banner der Solidarność; 1984 wiederum erscheint das Zeichen der Solidarność auf der Berliner Mauer. Der französischsprachige Titel der Serie Sous les pavés, la plage! (Unter dem Pflaster liegt der Strand) bezieht sich auf die Proteste der Studenten und Arbeiter in Frankreich, die im Mai 1968 begannen und sich gegen Kapitalismus, Imperialismus und die traditionalistische Gesellschaft richteten. Martychowiec platziert Schwarz-Weiß-Fotografien, die diese bahnbrechenden Ereignisse dokumentieren, in Vitrinen und bedeckt die meisten von ihnen mit Tausenden von Kristallen. Auf diese Weise schafft er einen gewieften Prozess des Verdeckens und Enthüllens, des Versteckens und Aufdeckens, bei dem wir uns fragen, welche Werte im gesellschaftspolitischen Kontext nach diesen Wendepunkten heute noch wichtig sind. Sind diese „Brillanten“ Symbole eines Konsums, der letztendlich unsere Beschäftigung mit wichtigeren Themen verdrängt?
Ergänzt wird dieser Fragenkatalog durch die Arbeiten der Künstlerin aus der Serie The Daily Questions, die uns in Form von Leuchtschriften von den Wänden der Galerie des Polnischen Instituts in Berlin befragen: What do you desire?, Where does your heart belong?, oder How far can you see? Die Unmittelbarkeit und Aktualität dieser Fragen laden uns ein, über unser politisches und soziales Handeln in Bezug auf den Ort in Zeit und Raum, an dem wir leben, nachzudenken. Die Frage „What is left to us?“ schwingt in diesen Tagen stark mit, und nicht weit davon entfernt gibt es den provokanten Vorschlag, gar nicht darüber nachzudenken und sich sorglos dem Konsum hinzugeben: Go and eat your burger! Diese gefährliche Leichtigkeit des Übergangs zu einem bequemen Leben in Wohlstand nach Umbrüchen wurde ja bereits durch die Kristalle symbolisiert, welche Fotografien wichtiger historischer Momente bedecken. Martychowiecs Werke scheinen zu sagen, dass wir zu schnell das Interesse an den positiven Folgen von Umbrüchen verlieren und uns stattdessen auf die Anhäufung von materiellem Besitz konzentrieren.
Während der Vernissage und in den ersten Tagen der Ausstellung werden Menschen, die das Polnische Institut in Berlin passieren, ähnliche Fragen gestellt. Um mit ihnen in Kontakt zu treten, wird ein spezielles Kommunikationsmittel eingesetzt – Anne Peschkens und Mark Pisarskys Wanderboje, ein mobiles Anti-Denkmal, das auf einem LED-Bildschirm verschiedene Antworten auf die Schlüsselfrage Wendepunkt(e) und wie weiter? zeigt.
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Donnerstag von 13.00 Uhr bis 18.00 Uhr
Freitag von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr
Organizator: